In meiner Arbeit mit Paaren spielen “Unverfügbarkeit” und “Resonanz” eigentlich immer die große und zentrale Rolle. Denn diese Erfahrung ist allen Liebenden gemeinsam: Liebe ist nicht machbar, entzieht sich stets jedem Versuch plan- oder “beherrschbar” zu sein und spielt sich nur echt im Raum ihrer unbedingten Unverfügbarkeit ab. Und in der je individuellen Resonanz auf Geliebtsein und Geliebtwerden, auf Verliebtsein, Lieben und Begehren erleben Liebende oft wahre Erdbeben an Emotionen, Stürme in ihrer Sexualität und ja: eine ganz andere Sicht auf die Welt. Diese Resonanz berührt jede und jeden existenziell ganz tief.
Gerade in der Reflexion der eigenen Beziehung ist für Paare dieses Erleben von der Unverfügbarkeit ihrer Liebe quasi die offene Tür, in der sie auch die spirituelle Dimension ihrer Liebe entdecken können. Die Unverfügbarkeit ihrer geschenkten Liebe wird quasi zum Einfallstor für eine intensive Gotteserfahrung, die man gar nicht hoch genug bewerten kann, weil sie “Menschwerdung” noch einmal anders durchbuchstabiert: Gott zeigt (“offenbart”) sich mir in dem Menschen, den ich liebe. Und wenn ich diesen Gedanken vom katholischen (sakramentalen) Eheverständnis her durchbuchstabiere, dann ist mein Partner das lebendige (!) sakramentale Zeichen der Gegenwart Gottes in meinem Leben. So wie etwa Wasser ein Zeichen der Taufe ist, ist mein (Ehe-)Partner das Zeichen für Gottes Gegenwart in meiner Liebe.
Ich erlebe auch gerade in der Ehevorbereitung mit jungen Paaren, die kirchlich heiraten wollen, dass jedes Paar diese tief spirituelle Erfahrung auf die je eigene Weise macht und durchlebt. Sie spüren dies auch, können es aber nicht „so“ sagen und ihre Erfahrung ausdrücken, weil sie oftmals ihre Erfahrung miteinander gar nicht mit Gott in Verbindung bringen können. Denn den meisten der Paare fehlt eine Sprache, fehlen Begriffe, die diesen tiefen Erfahrungen ins Wort helfen.
Aber: Der bei vielen Paaren immer noch intensive Wunsch nach einer kirchlichen Trauung zeigt, dass diese Erfahrung einen religiösen Ausdruck sucht und sich durch die Rückbindung an die kirchliche Riten quasi eine Hilfestellung erhofft, die von ihnen erlebte religiöse Dimension aufzuschließen, auf das eigene Leben hin zu deuten und festlich auszudrücken.
Ob wir uns in der Kirche dieser Verantwortung gerade auch für die jungen Paare bewusst sind? Heißen wir sie bei uns willkommen, indem wir selbst die „offene Tür“ sind, die die Erfahrung der Paare von unverfügbarer, aber dennoch geschenkter Liebe, von Treue und von Verantwortung füreinander in das Licht einer verwandt unverfügbaren Gotteserfahrung stellt?
Gerade in diesem Umfeld von Unverfügbarkeit und Resonanz erscheint das kirchlicherseits oft zu vernehmende Beklagen einer mangelnden „Sakramentfähigkeit“ von Brautpaaren, die bei uns für eine Trauung anklopfen, für mich wie eine schlechte Entschuldigung. Unterliegen wir als Kirche nicht allzu oft der Versuchung, die Unverfügbarkeit sakramentaler Wirksamkeit zu vergessen oder in abfragbare Begriffe zu pressen, um sie kirchlich „verfügbar“ zu machen? Dabei unterschlagen wir, dass die Paare sich das „Sakrament der Ehe“ selbst schenken (spenden) und also auch die erste Deutungshoheit über ihre Erfahrungen haben.
Können wir das mit Respekt ernst nehmen?
Ich persönlich glaube: Gott bringt diesen Respekt allen Liebenden entgegen.
Manchmal frage ich mich darum, ob wir in der Kirche diese Sprachlosigkeit der Paare nicht mit zu verantworten haben, weil wir es nicht schaffen, diese spirituelle Dimension durch zeitgemäße Bilder und Sprache anzuerkennen, zu würdigen und für Liebende begreif- und verstehbar zu machen? Denn damit würde auch Kirche wieder resonanzfähig und die Gefahr eines allzu häufig einseitig lehrenden Monologs wäre gebannt.
Vielleicht ist beim Lesen meines Textes zu spüren, dass ich Hartmut Rosa dankbar bin für die „andere Sicht“ (des Soziologen) auf die Spannungsfelder, die ich in meiner Arbeit im Bereich Pastoral und Kirche erlebe. Das war der Punkt, an dem ich wunderbar andocken und in mir deutliche Resonanz spüren durfte.
Mehr noch freue ich mich persönlich über die vielen guten Gespräche und für die positive Resonanz von Paaren, wenn ich genau das in der Seelsorge mit Paaren versuche: die Unverfügbarkeit der Liebe als Einfallstor Gottes zu deuten. Weil ich dies selbst von meiner eigenen Erfahrung in Partnerschaft, Ehe und Familie gedeckt weiß und immer mehr als Glück begreife.
Ulrich Berens
Ehe- und Familienseelsorger
Donauwörth
familienseelsorge.de
privat: ulrich-berens.de