Resonanz

Franz Reinhard Daffner

Resonanz

Resonanz 693 703 Franz Reinhard Daffner

„Über Resonanz kann man nicht verfügen“.
Diesen Satz von Hartmut Rosa las ich im Herbst 2020. Und mir fiel dazu die Geschichte mit meiner Violine ein.

Ich hatte sie in den 1960er Jahren von einer Tante geschenkt bekommen. Sie hatte sie 25 Jahre nicht mehr gespielt. Sie lag im Kasten. Ehrwürdig sah sie aus, mit einer gewölbten Decke. Ich kannte bisher nur flache Decken wie bei meiner Mittenwalder Geige, die ich spielte. Und dann der große Augenblick: Der erste Spielversuch. Ein kläglicher näselnder Ton. Große Enttäuschung. Keine Resonanz wie erwartet. Ratlosigkeit. Was tun? Wieder zurückgeben?

Ich ging vorsichtshalber zu meinem Geigenbauer und zeigte dann die Geige auch meinem Lehrer. Beide sagten: Du musst viel darauf spielen. Das ist eine ganz wertvolle Geige. Eine andere Resonanz bei beiden.

Inzwischen hatte ich gehört, dass die Tante und ihre Schwester zweimal beim Bombenangriff auf Augsburg 1944 ausgebombt wurden. Als einziges Stück konnten sie die Geige retten. Risse in der Decke hatte der Geigenbauer später wieder repariert.
Und dann sollte ich in die Geige hineinschauen. Da ist zu lesen:

Gregori Ferdinand Wenger, Geigen= und Lauten=Macher In Augspurg 1725.

Bei mir war eine ganz neue Resonanz.

Aber das „Du musst viel darauf spielen“ machte mir Mühe, denn es änderte sich noch kaum etwas am Klang. 25 Jahre nicht gespielt. Der Resonanzraum konnte nicht klingen, der Klangkörper war verstummt.
Ja, über Resonanz kann man nicht verfügen. Ich kaufte auf Rat meines Lehrers neue Saiten. Der Klang wurde ein wenig besser, aber nur ein wenig. Und dann, nach zwei Jahren – ich hatte viele Stunden auf der Geige geübt, begann sie neu zu singen, zu klingen.
Eine ganz neue Resonanz. Ich war damals sehr bewegt. Und heute klingt sie einfach wunderbar. Das sagen viele, die sie hören. Über 290 Jahre ist sie alt. Und jetzt gibt sie wieder die Resonanz, die der Geigenbauer in sie hineingelegt hat.

Für mich ist „meine Geige“ ein kostbares, wertvolles, mir geschenktes Instrument. In meinem Dienst als Seelsorger sehe ich eine Beziehung zwischen dieser Violine und Menschen. Jeder Mensch – ein Resonanzraum. Ich kann nicht über ihn verfügen, aber ich kann der Resonanz eines Menschen Raum geben, manchmal auch Klänge anstoßen. Und ich darf, wie Jesus sie hatte, viel Geduld haben mit Menschen, besonders mit jungen Menschen, damit sie immer mehr zu dem Resonanzraum werden, zu dem Gott sie geschaffen hat. Das ist dann ein großer Reichtum, den wir haben, der uns geschenkt ist und mit dem wir behutsam umgehen sollen. Da spiele ich dann an Weihnachten gern: „Resonet in laudibus“ – Singen wir mit Fröhlichkeit (GL 753). Eine neue Resonanz.

Franz-Reinhard Daffner
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