Verfügbarkeit und Hingabe

Georg Fetsch

Verfügbarkeit und Hingabe

Verfügbarkeit und Hingabe 747 748 Georg Fetsch

Die Beschäftigung mit dem Thema „Unverfügbarkeit“ im Anschluss an Hartmut Rosa führt mich zurück in meine Studienzeit. Dort begegnete mir im Fach Dogmatik unter den Vorlesungsthemen das Denken des 1973 verstorbenen französischen christlichen Existenzphilosophen Gabriel Marcel, der sich selbst als Neo-Sokratiker bezeichnete. Hier spielen die Begriffspaare Haben und Sein, Verzweiflung und Hoffnung, Einsamkeit und Gemeinschaft sowie Dunkelheit und Licht eine Rolle. Meinem Empfinden nach könnte man hier auch noch das Duo Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit einreihen.

Wer sich ein wenig Gedanken macht, erkennt vielleicht den Zusammenhang. Wer von Personen oder Dingen Besitz ergreifen will, sie einfach haben möchte, sie sich verfügbar machen möchte, gerät in Gefahr, sein Leben, sein (Da-)Sein an ein immer größer werdendes Streben nach Mehr zu verlieren. Er muss verzweifelt darum kämpfen, Befriedigung und Kontrolle zu erhalten und verliert dabei jeden Blick nach vorn, jegliche Hoffnung. Einsam kreist er um sich selbst. Durch das Besitzen-Wollen des anderen geschieht das Gegenteil des Gewollten: Gemeinschaft zerbricht. Metaphorisch gesprochen gerät der Mensch abseits vom Licht in die Dunkelheit. Resonanz wird unmöglich.

Die Philosophie von Gabriel Marcel lässt dann noch weiterdenken. Er bringt den Begriff der Verfügbarkeit ins Spiel als das Verfügbarmachen von sich selbst für andere, sprich für den Anruf Gottes (lt. Gabriel Marcel dem „absoluten Du“) und den anderer Menschen (dem „konkreten Du“): „Die verfügbarste Seele ist auch die geweihteste (consacrée), die innerlich hingebendste (dédiée); sie ist geschützt vor der Verzweiflung und vor dem Selbstmord, die sich ähneln und sich entsprechen, weil sie weiß, … dass sie sich nicht selbst gehört; von dieser Erkenntnis aus kann sie handeln, kann sie schaffen …“ Im Umkehrschluss dazu ist das Nicht-Verfügbarsein der Person für gemeinschaftliche Begegnung bzw. ihr Versuch, nur für sich selbst verfügbar zu sein, wie Marcel es hier auf sehr drastische Weise andeutet, etwas zutiefst Selbstzerstörerisches. Der Mensch ist in sich selbst gefangen, sodass er handlungsunfähig, leer und gegenüber allem gleichgültig ist. Mit fortschreitendem Alter erkennt er die eigene Hinfälligkeit immer mehr. Das vermeintlich unausweichliche Ende, der Tod, macht ihm Angst. Es scheint keinen Ausweg zu geben. Hartmut Rosa schreibt dazu in seinem Buch „Unverfügbarkeit“: „Vollständige Verfügung über das eigene Sterben erlangt nur derjenige, der den geplanten Freitod wählt: In diesem Akt erlangen wir in der Tat Verfügungsgewalt über das Leben als solches, wenn auch nur ex negativo, in der Zerstörung.“ Nimmt der Mensch jedoch das Geheimnis wahr, das in der erfüllenden Begegnung mit einem anderen Menschen oder dem Göttlichen spürbar ist, dann entsteht Resonanz. Dann weitet sich sein Horizont und er kann trotz aller Bedrohung leben, in der Hoffnung auf eine gute Zukunft, auf Vollendung.
Ich finde, das freie Verfügbarmachen von sich selbst stellt so viel wie das Gegenteil des Verfügbarmachen-Wollens des eigenen Lebens, der Welt, der Menschen und Gott, im Sinne eines Sich-gefügig-Machens dar. Das heißt für mich: durch solche Hingabe entsteht Resonanz; Hingabe an einen Lebensinhalt, Hingabe an eine Berufung oder Aufgabe, Hingabe an einen geliebten Menschen, Hingabe an Menschen, die mich brauchen, Hingabe schließlich an Gott.

Gerade in meiner kirchlichen Tätigkeit, in der seelsorglichen Arbeit in der Pfarreiengemeinschaft, mache ich, wenn auch manchmal nur bruchstückhaft, solche Erfahrungen von Erfüllung. Darüber freue ich mich! Und das nicht zuletzt, weil das nach meinem Empfinden Perspektiven für kirchliches Tun im Allgemeinen wieder neu in Erinnerung rufen bzw. eröffnen und beleben könnte!

Georg Fetsch
Pfarrer in Peißenberg
Dekan Weilheim-Schongau
e-mail:


1 Gabriel Marcel, Das ontologische Geheimnis, in: Gabriel Marcel. Werkauswahl, hg. v. P. Grotzer u. S. Foelz, Bde. I-III, hier: Bd. I, Paderborn 1992, 84.
2 Vgl. ebd.
3 Hartmut Rosa, Unverfügbarkeit, Wien – Salzburg 72020, 95.

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