Die nachfolgenden Assoziationen entstanden anlässlich meiner Verabschiedung aus dem aktiven Dienst als Leiter der kath. Erwachsenenbildung im Ostalbkreis.
Nach einem Dank an die vielen guten Worte und Wertschätzungen im Verlauf der Abschiedsfeier, die als Hybrid-Online-Konferenz stattfand, stellte ich folgende Überlegungen an:
Mich hat in den letzten Wochen ein Buch von Hartmut Rosa intensiv begleitet: „Unverfügbarkeit“ ( Wien-Salzburg, 2018).
Der Soziologe Hartmut Rosa hat seine Überlegungen über die Resonanz in diesem kleinen Band nochmal verdichtet und das Phänomen des menschlichen Bedürfnisses sich die Welt verfügbar zu machen kritisch beleuchtet. Ja die Unplanbarkeit des Lebens und das „Sich die Welt verfügbar machen wollen“ haben uns alle in den letzten Monaten stark gebeutelt, verunsichert und auch Ängste ausgelöst.
Ein sehr anschauliches Beispiel der Grenzen des „Alles Planen wollen“ haben wir die letzten Monate alle hautnah erlebt, als es mit viel Reglement darum ging, vulnerable Gruppen zu schützen und dadurch ganz neue Ungerechtigkeiten und unabsehbare Folgeschäden entstanden sind.
Anhand des Wortes UNVERFÜGBARKEIT möchte ich nun einige wichtige Aspekte meiner letzten 12 Jahre bei der Erwachsenenbildung durchbuchstabieren: Diese Assoziationen beleuchten Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges.
U wie Umbruch
„Wir leben nicht in einer Ära des Wandels, sondern wir erleben einen Wandel der Ära!“
sagt Papst Franziskus. Das erleben wir nicht nur in der Kirche, in der ganzen Gesellschaft. Der griechische Philosoph Heraklit hat schon gesagt: „Das einzige Konstante ist die Veränderung“. Und hier erleben wir täglich die Ambivalenz: Wir streben ja nach Veränderung im Leben: ein neuer Beruf, eine neue Partnerschaft, Kinder, neue Länder entdecken,…
Wir lieben aber gleichzeitig das Bewährte und Vertraute, sehnen uns nach Ordnung und Stabilität. Wie dieses Dilemma aushalten oder transformieren?
N wie Neugierde
Neugierde auf Neues. Mein Wahlspruch zu Beginn meiner Tätigkeit bei der keb war ein Zitat des Schweizer Philosophen Peter Bieri: „Bildung beginnt mit Neugierde“. Das gilt für mich bis heute!
Erwachsenenbildung kann Menschen neugierig machen und verschüttete Neugierde wieder (er)wecken.
Um das erreichen zu können, braucht es aufgeschlossene, neugierige Menschen, wie ich sie hier im
V wie Vorstand finden.
Der Vorstand des Bildungswerkes Ostalbkreis mit seinem Vorsitzenden Hans-Josef Miller und dem Stellvertreter Ludwig Hammel hat mir 2009 den Start in das Engagement für die keb ermöglicht.
Den Vorstand in allen unterschiedlichen Besetzungen habe ich immer als aufgeschlossenen „Ermöglicher“ erlebt. Es war stets eine wohlwollende Begleitung in Freundschaft.
Auf der Mitgliederversammlung letzte Woche habe ich gesagt, dass diese 12 Jahre zu den freiesten im gesamten Berufsleben gehören.
DANKE dafür Damit bin ich beim
E wie Ehrenamt
Ohne das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen – im Vorstand, in den Verbände, den Kirchengemeinden und NGO’s mit denen wir kooperieren können, ist offene Erwachsenenbildung in katholischer Trägerschaft gar nicht möglich.
Ich denke, dass zukünftig freiwilliges soziales und gesellschaftspolitisches Engagement für die Bürgergesellschaft anders bewertet und gewürdigt werden muss. Wem gebührt die EHRE in einem solchen Engagement: der Institution oder dem Menschen?
R wie Religion oder konkreter Römisch-katholische Kirche.
Was verstehen wir unter dem „toten Punkt“ von dem Kardinal Marx gesprochen hat? Ist das DER Stillstand jeglicher Entwicklung? Das gesellschaftliche Ansehen der Kirche war selten so schlecht wie heute. Aber die spirituelle Sehnsucht der Menschen war noch nie größer?
Etwas salopp und untheologisch gesprochen: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich gänzlich ungeniert“. Ist das eine Möglichkeit für die deutsche Kirche? Weniger nach Rom schielen, sondern die Menschen hier in ihren Lebensvollzügen und Bedürfnissen ernstnehmen und die Frohbotschaft von Jesu zu verkünden und zu leben? Als selbstständige Vereine, die wir in der keb sind, haben wir doch alle Chancen. Nutzen wir Sie!
F wie Frieden
Das Thema Frieden hat in meinem Leben stets eine große Rolle gespielt. Nicht nur biografisch in meinem Namen, wie es die Öffentlichkeitsreferentin des Dekanats Frau Schwenk in ihrem Artikel für die Zeitung und das Echo so schön beschrieben hat, auch in meiner Familie, wo mein Vater 10 Jahre seines jungen Lebens in Krieg und Gefangenschaft verbracht hat. Da war für mich die Verweigerung des Kriegsdienstes eine Selbstverständlichkeit. Bis hin zur Ausbildung zum interkulturellen Mediator und Engagement bei pax christi. Der Friedensgedanke tradiert sich weiter in meinem Sohn, der als Friedens- und Konfliktforscher den Friedensbeauftragten der EKD arbeitet.
Ü wie Übergang
Lebensübergänge zu begleiten ist EINE Kernaufgabe von Seelsorge und Bildungsarbeit. Sakramente geleiten einige wichtige Übergänge im Leben: Taufe, Firmung, Ehe,…
Aber vom wichtigen sehr einschneidenden Übergang vom Berufsleben in die Nacherwerbsphase (Rente klingt für im Moment mich so inaktiv), wie immer man das dann nennen mag, gibt es keine Rituale.
Daher freue mich sehr, dass es meiner Team-Kollegin Karin Specht gelungen ist, mit unserem Konzept „Ruhestand!? – Die Segel neu setzen?“ hier ganz neue persönlichkeitsbildende und informative Veranstaltungen an ungewohnten Orten auf die Beine zu stellen. Die Preiswürdigkeit des Formats (2. Platz beim Innovations-Preis ethische Weiterbildung der Kilag 2019) zeigt seine Einmaligkeit sehr deutlich.
G wie Gotteskünderinnen und glaubwürde Gottesrede
Schon weit vor der aktuellen Diskussion um Frauenpredigten gibt es hier auf der Ostalb das ökumenische Format der Gotteskünderinnen: Frauen predigen zu sozialpolitischen Themen. Nur noch zwei kebs pflegen diese wertvolle Tradition. Das ist auch der Verdienst der Kollegin Birgit Elsasser, die mit einem kleinen Team von Frauen hier Jahr für Jahr tolle Predigerinnen nach Aalen holt.
Unsere Kooperationsreihe „Glaubwürdige Gottesrede“ hat vor einigen Jahren sogar den Weg in ein Buch gefunden. Es ist und bliebt eine Herausforderung heute glaubwürdig und nah am Menschen von Gott zu erzählen.
B wie Begegnung
Wie wichtig echte Begegnung – auch Berührung– ist, haben wir schmerzlich in den letzten Monaten erfahren, als sie verboten wurde.
Erwachsenenbildung IST Begegnung: mit meinem Geist und Verstand in einem wissenden DU, Begegnung mit meinem Körper in Yoga oder Mediation, Begegnung mit meinen Sinnen bei Musik und Tanz oder im Dialog bzw. Diskurs auf Augenhöhe.
In Israel haben wir erfahren, dass das Verbot von Begegnungen zwischen Juden und Palästinensern nie zum Verstehen der jeweils anderen Erfahrung -des anderen Narrativs – führen kann. Und damit Versöhnung und Frieden systematisch verhindert wird.
A wie Aufbruch
Die Zeichen bei der keb Ostalb stehen auf „Aufbruch“, nicht nur wegen einer neuen Leitung, deren Name ja auch noch mit A beginnt: Ana de Requesens Moll, auch in medialer Kommunikation und zukünftig evtl. auch in Finanzierungsfragen. Aufbruch in neue Formate, die wir in den letzten Monaten schon kreiert und getestet haben. Alles Gute wünsche ich beim Aufbrechen.
R wie Reisen
Den klassischen Spruch „Reisen bildet“ kennen Sie. Kommt drauf an wie man/frau reist.
Unsere keb-Reisen waren stets von zwei Aspekten geprägt:
1. Die Reiseziele hatten alle mit Wurzeln und Ausprägungen des Christentums zu tun
2. Neben Kulturdenkmälern Geschichte und Landschaften stehen Begegnungen und Gespräche mit Menschen und Initiativen im Vordergrund. Viele Länder sind zerrissen in z.T. auch religiös begründeten Konflikten wir Israel, Irland oder Zypern. Stets beide Narrative zu erleben ist eine Maxime dieser Reisen. Vielleicht gibt es ja hier eine Fortsetzung bei der keb Ostalb.
K wie Kooperation
Neben den schon bisherigen und bewährten Kooperationen mit der ev. EB, dem Religionspädagogischen Institut z.B. ist es in den letzten Jahren gelungen, die keb auch für andere NGO’s attraktiv zu machen als Kooperationspartner. Gruppierungen und Verbände wie attac, Erlassjahr.de, DGB, BUND, Europoint im Landratsamt bzw. Städtische Einrichtungen wie die Integrations- oder Frauenbeauftragten gehören zu regelmäßigen Kooperationspartnern.
Es ist einfach schön zu sehen, dass wir so den Dunstkreis des eigenen Kirchturms auch immer wieder verlassen können, ohne die Basis zu verlieren, sozusagen die geborenen Kooperationspartner wie Kirchengemeinden und Verbände.
E wie Ende
Ja die Assoziationskette hat nur noch zwei Buchstaben. Ist also bald zu Ende. Sie kennen ja evtl. das Zitat: „Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht zu Ende“. Ja für mich ist gut, nun das Schiff keb Ostalb zu verlassen und neue Segel zu setzen. Wohin auch immer mich der Wind des Lebens führen mag.
I wie Interkulturelles und Interreligiöses
Das war für mich ein neues Lernfeld, in das ich mit Freude und mit viel Neugierde eingestiegen bin. Ob im christlich-islamischen Dialogkreis in Aalen, bei den ökumenischen Kirchentagen in Aalen, der Gründung einer ACK im Schwäbisch Gmünd nach der Landesgartenschau 2014 oder der interkulturellen Woche: Stets waren die Begegnungen, Gespräche und gemeinsamen Veranstaltungen eine Bereicherung, es haben sich um mit Hartmut Rosas Worten stets neue Resonanzräume erschlossen. Die interkulturellen Fortbildungen bis zur Ausbildung zum interkulturellen Mediator waren da nur logisch. In der keb Kommission Interkulturalität auf Bundesebene habe ich sehr gerne mitgearbeitet.
T wie Team
Last but not least – mein Team
Ohne einen so tollen Rückhalt, soviel Mitdenken, soviel Herzblut an Menschen und Themen wäre die Zeit hier langweilig und sicher nicht so erfolgreich gewesen.
Ich bin ein Team-Player, das habe ich hier immer wieder erleben dürfen. Ich blicke zurück auf viele tolle Kolleginnen, die mich gerade als Neuling zu Beginn meiner Tätigkeit so aktiv in (fast) allen Fragen unterstützt haben.
Und dann mein jetziges tolles Team, das auch diesen Abend so super organisiert hat:
Ganz herzlichen Dank an euch!
U N V E R F Ü G B A R K E I T steht nun am Ende etwas wild und willkürlich durchbuchstabiert.
Immer wieder Neu in Resonanz gehen mit Menschen und Dingen – das werde ich jetzt tun in dieser neuen Lebensphase und das wünsche ich der keb für die Zukunft.
Wilfred Nann
Augsburg