Das Wesentliche ist unverfügbar

Bernhard Ehler

Das Wesentliche ist unverfügbar

Das Wesentliche ist unverfügbar 699 804 Bernhard Ehler

Verfügbare Unverfügbarkeit?

1977 wurde ich zum Priester geweiht, in einer Zeit, in der (fast) alles machbar schien. Schon in den ersten Wochen als Kaplan merkte ich: die Aufgaben und Herausforderungen sind viel mehr als die Terminmöglichkeiten in meinem Kalender. Ich habe Kurse besucht, um eine bessere pastorale Planung und ein effektiveres Zeitmanagement zu lernen. Ich konnte dadurch sehr viel bewirken, und viele sind dankbar dafür.

Die ganze Zeit über aber habe ich gespürt: Auch wenn ich immer noch mehr und besser arbeite, werde ich das Ziel meines priesterlichen Dienstes nicht erreichen: Menschen in einer lebendigen und glaubwürdigen Kirche Gottes Liebe so erfahren zu lassen, dass sie selbst zu Zeugen dafür werden. Meine eigene Schwäche und die Unzulänglichkeiten der Kirche und ihrer Repräsentanten, die gesellschaftliche Gesamtsituation, die anders gelagerten Interessen heutiger Menschen verhindern, dass ich diesbezüglich Entscheidendes erreichen kann. In den mehr als 22 Jahren in der Priesterausbildung und Geistlichen Begleitung konnte ich immerhin sehr oft staunend wahrnehmen, was Gott in und mit Menschen wirkt, die sich seiner Führung überlassen (Ignatius von Loyola). In den letzten 8 Jahren bin ich als Pfarrer so in alltägliche Verwaltungsaufgaben und Konfliktmanagement eingebunden, dass ich Freiräume für wirklich priesterliches und geistliches Wirken mühsam erkämpfen muss.

Und da bekomme ich von Martin Knöferl den Hinweis auf das Buch „Unverfügbarkeit“ von Hartmut Rosa. Von Kapitel zu Kapitel geht mir das Herz auf und kann nur sagen: Er hat recht! Das Wesentliche ist nicht nur für die Augen unsichtbar (Saint-Exupéry), sondern auch unverfügbar! Es entzieht sich, wenn ich es direkt anstrebe; ich kann es nur als Geschenk empfangen. Theologisch gesagt: alles ist Gnade. Wir können und müssen das Reich Gottes nicht machen, weil es ja das Reich Gottes ist!

In der Geistlichen Begleitung habe ich das erfahren. Da konnte ich beim Wirken Gottes zuschauen. Aber – und jetzt kommt das große Aber, über das ich gern mit anderen ins Gespräch kommen möchte – was tue ich als Pfarrer, wo ich nicht nur dem Unverfügbaren Raum geben kann, sondern für verfügbare Räume zu sorgen habe, den Menschen gute Erfahrungen mit einer Kirche ermöglichen will, die für sie da ist, widerstreitende Interessen von Mitarbeitenden moderieren und nicht nur aussitzen soll …?

Bei meiner Primiz wurde Lk 9,11b-17 als Evangelium gelesen: die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung. Heute weiß ich mehr denn je, dass es mir nicht gelingen wird, den Hunger der Vielen nach Leben und Sinn, nach Halt und Trost zu stillen. Das vermag allein der Herr. Worin aber bestehen die 5 Brote und 2 Fische, worin besteht mein Bei-Trag, ohne den er das Wunder nicht wirken will? Was muss verfügbar sein, damit das Unverfügbare sich ereignet und wahrgenommen wird? Und wo gilt es, den Irrglauben an die Verfügbarkeit ganz aufzugeben, um das Unverfügbare zu erfahren? Paul Michael Zulehner hat schon vor Jahrzehnten vom „ekklesialen Atheismus“ gesprochen, also von einem kirchlichen Betrieb, der ohne Gott auskommt. Wie können wir Gott als den allein Heiligen und Mächtigen und Unverfügbaren achten – und zugleich mit den uns übergebenen Talenten (Mt 25,14 ff.), mit dem uns Aufgegebenen (und damit Verfügbaren) mit allem Einsatz arbeiten? Mit zunehmendem Alter mehren sich die Fragen. Ich freue mich darauf, mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen!

Bernhard Ehler
Pfarrer von St Lorenz
Kempten
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