Da begannen Dinge neu zu leben

Ilona Thalhofer

Da begannen Dinge neu zu leben

Da begannen Dinge neu zu leben 667 1000 Ilona Thalhofer

„Das Buch musst du unbedingt lesen!“ Auf diese Begeisterung von Freunden oder Menschen aus meinem Umfeld konnte ich mich in der Vergangenheit schon oft einlassen. Aus dem riesigen Wald an medialen Möglichkeiten hilft mir das auszuwählen. Natürlich ist dabei nicht unwesentlich wer genau da auf ein Buch aufmerksam macht, denn auf meine Lektüre wirkt sich das unterschiedlich aus. Mal interessiert mich beim Lesen welche Themen der andere liest, ein andermal bin ich gespannt, was Freunde und Bekannte inspiriert. Jedes mal wünsche ich mir dabei aber auch, dass ich selbst angesprochen werde und etwas Lebendiges im Buch entdecke, das mein Leben bereichert.

Schließlich gibt es hier und da eine Buchempfehlung, die viel Hoffnung weckt, weil sie von einem Menschen kommt der mich stark inspiriert. Dank dieser Vorgeschichte konnte ich dem Buch von Hartmut Rosa „Unverfügbarkeit“ mit großer Offenheit begegnen und ging mit hohen Erwartungen daran es zu lesen. Was ich allerdings nicht erwartete war, dass ich bereits nach der Hälfte des Buches, die nur wenige Stunden meiner Zeit beanspruchte, mit einer veränderten und vertieften Haltung in die Welt hinausgehen konnte. Ich ging und fragte: Was/wer spricht mich heute an? Wovon bin ich berührt? Was bewegt mich? Da begannen Dinge neu zu leben und Gespräche bekamen einen neuen Klang. Vielleicht kann man sagen, dass ich seitdem anders mit meiner Umgebung in Beziehung treten kann, weil ich mit einer anderen Erreichbarkeit darin unterwegs bin. Meine Spiritualität ist bereichert, weil die Begriffe Resonanz und Unverfügbarkeit einen großen weiteren Raum aufschließen.

Der Soziologe Rosa hat eine ansprechende Weise, schwierige Realitäten, gut zu beschreiben. Er zeigt auf, dass unser modernes Problem darin besteht, dass wir immer mehr Welt für uns verfügbar machen wollen. Erst wenn wir Dinge glauben zu beherrschen, lassen wir von ihnen ab, um uns, gelangweilt davon, auf Neues zu stürzen. Was wir uns damit geschaffen haben ist eine Welt in High-Tech und High-End-Lösungen die sich uns immer mehr entzieht, zu der wir vielfach aber eine aggressive Haltung einnehmen. Aus Angst vor Immer-weniger verharren wir im Modus der Steigerung, der Optimierung und der Weltreichweitenvergrößerung: höher, besser, weiter. Ergebnis ist unsere Entfremdung von der Welt und ihr verstummen.

Für meine Arbeit im Seelsorgeamt bin ich über dieses Buch sehr dankbar. Ich sehe darin auch einen wichtigen Wegweiser für unser Weiterdenken in der Pastoral. Wie können wir sensibel werden für eine Haltung wechselseitiger Erreichbarkeit, ein hörendes und antwortendes Aufeinander bezogen sein von Gott und Mensch, Mensch und Natur, Mensch und Mitmensch, das verwandelnde Kraft hat? Wie können wir uns gegenseitig helfen, die Welt nicht als Aggressionspunkt sondern als positiven Resonanzpunkt zu sehen? Wie schaffen wir es Steigerung und Optimierung wieder an ihre hinteren Plätze zu verweisen, um jedem Menschen die Chance zu geben aus seinem Getrieben sein herauszutreten und im Inneren zur Ruhe zu kommen? Und schließlich, wie kann die Seele so viel Raum bekommen, dass sie sich zum Hören öffnet?

Ilona Thalhofer
Referentin im Seelsorgeamt der Diözese Augsburg
Neu Ulm
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