Der bekannte deutsch-russische Pianist Igor Levit wurde in einem Interview mit der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ gefragt,
ob er den überaus populären ersten Satz aus der Mondscheinsonate überhaupt noch hören könne.
Er antwortet: „Ja! Ich habe die Sonate erst kürzlich gespielt.
Je häufiger ich die Sonate spiele, je mehr ich damit arbeite, desto weniger verstehe ich sie, desto mehr entfernt sie sich von mir,
desto glücklicher werde ich damit, und desto öfter will ich sie spielen …
Ich möchte nie sagen, das habe ich verstanden, das Nächste bitte.
Das Ziel ist: Ich möchte immer wieder am Anfang ankommen“
In dieser Passage verknüpft Levit nicht nur explizit seine Glückserfahrung mit der Unverfügbarkeit,
sondern seine Überlegungen legen auch nahe, dass Aussagen wie „Beethoven habe ich schon gehört, jetzt will ich etwas anderes hören“
oder „In den Alpen war ich schon, jetzt will ich woanders hin“ oder auch „Weihnachten ist immer dasselbe…
wenn sie kategorial gemeint sind, Zweifel daran wecken,
dass Beethoven, die Alpen oder Weihnachten jemals Resonanzachsen für die betreffende Person waren.
Zugleich macht Levits Erfahrung deutlich, dass Kompetenz gewiss nicht der Feind von Resonanz ist.
Der Pianist, entwickelt und verfeinert seine musikalische Kompetenz gleichsam,
um die Sonate zum Sprechen zu bringen, um mit ihr in einem immer tieferen Dialog zu treten,
und zwar so, dass beide Seiten immer wieder Neues zu sagen und zu antworten haben.
Unverfügbarkeit S. 53/54
Ich werde manchmal gefragt, ob ich denn das mit dem Resonanz- und Unverfügbarkeitsgeschehen überhaupt noch hören könne.
Ich antworte: „Ja! Ich habe erst heute mehrfach Resonanzgeschehen erlebt.
Je mehr ich damit in Berührung bin, desto weniger verstehe ich es, desto mehr entfernt es sich von mir,
desto glücklicher werde ich damit, und desto öfter will ich diese Geschehen nicht verhindern …
Ich möchte nie sagen, das habe ich verstanden, das Nächste bitte.
Das Ziel ist: Ich möchte immer wieder am Anfang ankommen.
Auch meine Erfahrung macht deutlich, dass Kompetenz gewiss nicht der Feind von Resonanz ist.
Auch wir können unser Gespür, unsere Aufmerksamkeit entwickeln und verfeinern,
um im Hören und im Sprechen in einen immer tieferen resonanten Dialog zu treten
und zwar so, dass beide Seiten immer wieder Neues zu sagen und zu antworten haben.“