… Bin heute nachmittags wie fast jeden Freitag ins Seniorenheim gegangen.
Besuche dort Leute, manche ganz gezielt, mit manchen komme ich auf dem Gang ins Gespräch. Auf meinem Schild steht Seelsorgerin, aber viele wissen mit dem Wort nichts anzufangen.
Heute war ich eher weniger motiviert. Alle KollegInnen waren bereits ins Wochenende gegangen, nur ich hatte diese zwei Stunden „Arbeit“ noch vor mir. So bin ich also losgegangen. Heiß, Mundschutz, null Motivation.
Mein erster Besuch war bei einer bettlägerigen alten Dame mit 88 Jahren. Sie bekommt selten Besuch. Alle Freunde und Angehörigen sind verstorben. Sie hat oft Schmerzen, aber ich habe noch nie ein bitteres Wort von ihr gehört. Ihr Verstand ist noch sehr klar. Ich habe gespürt wie sie sich gefreut hat, dass jemand kommt.
Oft gehen uns die Gesprächsthemen aus. Dann lächelt sie mich an und ich kann das Lächeln erwidern, ohne es gleich mit irgendwelchen Worten zuzudecken und die Stille im Gespräch da sein lassen.
Auf dem Gang begegnet mir eine weitere Bewohnerin, die mich bittet, ihr beim Öffnen eine Bonbons behilflich zu sein, da die Hände nicht mehr so funktionieren. Als ich nach meinem nächsten Besuch wieder vorbeikomme, sitzt sie immer noch da und ich frage sie, ob das Bonbon gut war und ob ich ihr nochmal eins aufmachen soll. Ein Lächeln und ein Nicken und dann kommen wir ins Gespräch.
99 Jahre, vertrieben, wie so viele dort, jetzt in einem Doppelzimmer mit einer sehr lauten, dementen Mitbewohnerin.
Auch hier begegnet mir Geduld und ein Lächeln.
Ich spüre großen Respekt vor dieser alten Frau, die so viele schwierige Situationen in ihrem Leben gemeistert hat und jetzt auch dieser entgegen tritt. Ich fühle mich beschenkt.
Es gelingt mir eine andere, sehr kritische Bewohnerin zum Lachen zu bringen und auf meine Aufforderung, mir Dinge zu erzählen, die ihr Freude machen (und nicht nur in der Endlosschleife der schlechten Sachen zu kreisen), – eine Aufgabe, die ich ihr bereits mehrfach gestellt hatte – erzählte sie mir heute tatsächlich mehrere Sachen: das Glitzern des Schnees am Morgen, der Duft der Plätzchen beim Backen früher.
Ich sehe und spüre, dass sie es ehrlich meint und bin zutiefst dankbar.