Kirche als Resonanzraum

Sr. Katharina Kluitmann

Kirche als Resonanzraum

Kirche als Resonanzraum 2558 2560 Sr. Katharina Kluitmann

Münster, Mitte März. Es ist der Jahrestag des ersten Lockdowns. Mozarts Requiem erklingt. In der großen Hallenkirche sind wir umgeben von Klängen, sind mittendrin im Chor, mitten im Orchester. Ein trauriges Stück. Eine Totenmesse, vom sterbenskranken Komponisten in traurigen Zeiten geschrieben, von uns in traurigen Zeiten gehört – und doch so wunderschön. Wie gut uns das tut! Dünnhäutig, wie wir sind, jetzt, mitten im zweiten Lockdown! Wir leben auf, lächeln uns an. Ein Konzert, das Grenzen sprengt. Ein Erlebnis, das viel mehr Menschen anzieht als geplant.

Aber halt: Ein Konzert? Mit vielen Menschen? Mitten im Lockdown? Ja: Das Institut für Musikpädagogik und das Kulturbüro der Universität Münster hatten in die Pfarrkirche Liebfrauen-Überwasser eingeladen, zu einem corona-konformen Konzert der besonderen Art: „Mozart distant.“ Die Singenden und die Musizierenden nahmen dafür zuhause allein ihre Stimme auf und sandten sie als Audio-Datei ein.

Und dann wurde das Ganze im Studio zusammengemischt? Nein, eben nicht! Im Studio fehlt der Raumklang. Es fehlt jene Resonanz, die nur eine Kirche bietet. So waren in der ganzen Kirche 64 Lautsprecher aufgestellt, deren Klangstärke in etwa der einer menschlichen Stimme entspricht. Sie standen auf Karton-Säulen, die als individueller Resonanzraum dienten. Und die Kirche war der gemeinsame Resonanzraum, der die vielen Stimmen verband, die der Menschen und die der Instrumente. Eine einzelne Altstimme ist vielleicht interessant, aber kein Genuss. Doch im Zusammenspiel braucht es sie unbedingt. Die Kirche war der Raum, in dem die Konzertbesucherinnen und -besucher herumgehen und bei einer Stimme verweilen oder dort, wo sich alle Stimmen vereinten, im Klang baden konnten. Ein großer Klangraumvoller Resonanzen – zwischen den Kirchenmauern und in den Hörenden. Unwillkürlich denke ich: Kirche als Resonanzraum – wie schön wäre das, wenn wir auch als Gemeinschaft der Glaubenden solche Resonanzräume wären, in denen jede Stimme zählt und ernst genommen wird. Kirche als Resonanzraum, in dem etwas zum Klingen kommt. Kirche, die ganz von alleine anzieht, weil Menschen einander erzählen: Es ist gut, dort zu sein. Wir müssen noch viel üben, sehr viel, bis wir überall so weit sind. Zugleich dürfen wir die Orte aufspüren, wo es schon gelingt, wo Kirche Resonanzraum für alle ist: für die tiefen Stimmen der Einsamen; die schrillen Stimmen der viel zu lange mundtot Gemachten; die sanften Stimmen derer, die uns durch Krisen tragen; die abgehackten Stimmen derer, denen das Wort im Halse stecken bleibt, Ihre Stimme, meine Stimme, Männerstimmen, Frauenstimmen, diverse Stimmen. Menschenstimmen…

Kirche als Resonanzraum – und das Leben könnte ein Konzert werden, voller Traurigkeit und doch von zarter Schönheit. Ein Konzert wie das Leben, das nie nur schön ist. Wie das Leben, das immer seine eigene Schönheit entwickeln kann. Wie das Leben, von dem es an Ostern heißt, dass es siegen
wird und schon gesiegt hat.

Jesus, von dem wir Christen bekennen, dass er auferstanden ist, bot denen einen Resonanzraum, deren Stimmen nicht erwünscht waren. Erhörte auf die Frauen und die Fremden, auf die Ausgeschlossenen und die als Sünder Abgestempelten. Das hat die Mächtigen mächtig gestört. Sie haben ihn mundtot gemacht. Daran denken wir an Karfreitag. Doch dann siegt das Leben: „Im dunklen Grab, im toten Stein, braust schon das Heil mit Kraft herein!“

In der Grabhöhle braust das Leben. Denn der Gott, den Jesus verkündet hat, bietet Jesus selbst dann einen Resonanzraum, als er seine Gottverlassenheit herausschreit. Gott lässt ihn nicht fallen. Er nutzt seine Macht, um Leben zu schenken. Leben im Tod, Leben aus dem Tod. Er will das Leben dieses Jesus, weil er das Leben aller will. Irre! In all dem, was geschehen ist, seit wir 2020 Ostern gefeiert haben; in all dem, was heute geschieht, und auch in all dem, was leider immer noch nicht geschieht in meiner Kirche, ist Ostern 2021 für mich durchzogen von der Erinnerung an den gelungenen Resonanzraum in Liebfrauen-Überwasser, der mir das Geheimnis der Auferstehung neu erschließt. Diese österliche Erinnerung gibt mir Hoffnung. Diese österliche Erinnerung ermutigt mich, in meiner kleinen Welt für die Menschen, mit denen ich lebe, Resonanzraum zu sein, damit keiner zum Schweigen gebracht wird. Auch ich bin Kirche, Resonanzraum, in der Spur dieses Jesus, den man nicht zum Schweigen bringen konnte, weil Gott will, dass das Leben siegt, in allen, für alle, für immer. Ich sehne mich so sehr nach dieser Erfahrung, und ich wünsche Ihnen, dass Sie dieses Jahr an Ostern die Resonanzerfahrungen machen, die Sie gerade brauchen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie spüren können, dass das Leben siegt, auch in Ihnen, trotz allem. Ich wünsche Ihnen, dass es auch in Ihnen und um Sie herum singt und dass Sie, wenigstens dann und wann, einen Moment baden können im Klang des österlichen Jubels.

Schwester Katharina Kluitmann osf
Provinzleitung Kloster Lüdinghausen
Vorsitzende der Deutschen Ordensoberen Konferenz
E-Mail:
www.uni-muenster.de/kustodie/mozart-distant

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