Nicht zu sehr wollen – diese kluge Haltung stammt aus der Spiritualität der ignatianischen Exerzitien. Nicht zwanghaft mit unseren unzulänglichen Taten die Welt im Aggressionsmodus verfügbar machen zu wollen und sich an den Ausgang unserer Handlungen zu klammern, sondern im Resonanzmodus mit einer transzendenten Offenheit auf Gottes Mithilfe und Wirken leben. So kann sich nach dem französischen Philosophen Maurice Blondel (1861-1949) ein Zusammenwirken von göttlichem Willen und menschlichem Handeln ereignen: Mit Gott wollen, was Gott will.
Der Mensch hat im Leben die Grundentscheidung zu treffen, sich Gott zuzuwenden oder sich nur auf die eigene Person zu fokussieren – seinen egoistischen Antrieben zu folgen oder auf die Stimme Gottes zu hören. Der Mensch strebt nach Gott und ist erst dann er selbst, wenn er seine Transzendenz lebt.
Der suchende Mensch findet in dieser ungenügenden Welt weder vollkommene noch endgültige Erfüllung und Ruhe in seinem Handeln. Seine tiefe Grundsehnsucht und sein grenzenloses Streben richten sich über sich selbst hinaus nach Sinn und Vollendung, die letztlich nur in der transzendenten Bewegung zu Gott ihren Abschluss vollständig erreicht. Dies kann nur gelingen, wenn ihm Gott in übernatürlicher vom Menschen nicht einforderbarer Weise unverfügbar zu Hilfe kommt.
Dies formuliert der wirkmächtige französische Philosoph und überzeugte Katholik Maurice Blondel (1861-1949) seinem bahnbrechenden Hauptwerk „L’Action“ (1893). Der unendliche Durst des menschlichen Herzens kann durch nichts in der Welt mit endlichen irdischen Dingen zufriedengestellt werden. Denn der transzendierende Mensch besitzt eine metaphysische Veranlagung, und er wird erst dann er selbst, wenn er seine Transzendenz lebt.
„Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt?“, fragt Blondel. „Alles was er hat, genügt ihm nicht und scheint ihm nichtig, sobald er es besitzt; denn er selber genügt sich nicht, er selber besitzt sich nicht… Kaum hat er auf den Gipfeln seines Lebens seinen Götzen aufgerichtet, ekelt ihn dieser schon wieder an“ (L’Action). Um „sein Leben zu gewinnen“, muss sich der Mensch die Logik des Verzichtens zu eigen machen. Man findet Befriedigung in der Entsagung, nie aber in der Befriedigung.
Der Mensch findet keine endgültige Erfüllung und Ruhe in der endlichen Welt und in seinem Leben. „Ruhelos ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir“, lautet die bekannte Augustinus-Sentenz in seinen Confessiones. Substitutionen und Ersatzbefriedigungen durch immer neue Konsumgüter oder hedonistischen Genüsse können diese unstillbare Sehnsucht unserer menschlichen Existenz nicht verdrängen. Sie führen oft zu Sucht oder Gier, ohne den inneren Durst zu stillen. Das Glück ist nicht das, was man hat, sondern das, worauf man verzichtet.
Bereits Thukydides (454-397 v. Chr.) analysierte in der menschlichen Natur einen unbändigen Drang nach höherem Ansehen und größerem Besitz, griechisch gesprochen in der philotimia und pleonexia. Wir sind nicht zufrieden, mit dem was wir haben und was wir sind. Platon hat dies auch geahnt und beschreibt die Sehnsucht als Ausdruck des Eros, der auf das Ewige und Unsterbliche zielt. Auch Platon deutete diese Sehnsucht als Ausdruck des Eros, der auf das Ewige und Unsterbliche zielt. Erst in der Transzendenz – in der Idee des Schönen – findet der Mensch Ruhe.
Der Mensch ist durch seinen ruhelos suchenden Geist gehindert ein Gleichgewicht in der irdischen Ordnung zu finden. Er kann sich seine ihm genügende, erfüllte Ruhe nicht selbst verschaffen. Nach Blondel bedarf der Mensch einer von außen kommenden Erfüllung seines unendlichen Strebens, die über die menschlichen Möglichkeiten hinausgeht. Alle Vollendungsversuche des menschlichen Handelns sind nach Blondel zum Scheitern verurteilt, weil sich der Mensch nicht selbst gewollt hat und der Mensch sich auch nicht selbst begründen kann. Daher ist der Mensch auf das Mitwirken Gottes angewiesen und braucht dessen unverfügbares Geschenk. Das „absolut Unmögliche und absolut Notwendige“ für den Menschen ist nach Blondel zugleich das Übernatürliche.
Diese ewige Unruhe und diese unaufhebbare Diskrepanz in der Strebedynamik des Wollens und den Grenzen im Ziel menschlicher Handlung bringen den Anruf Gottes und die göttliche Berufung des Menschen zum Ausdruck. Blondel geht von einer Immanenz aus, dass im Menschen bereits etwas Göttliches angelegt ist. Ein Anknüpfungspunkt – ein „Rest aus dem Paradies“, ein “Keim von Ewigkeit“ – für eine Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf, die über eine Empfänglichkeit für einen möglichen Anruf Gottes verfügt:
„Nicht als müssten wir uns mit einer undefinierbaren Ahnung vom Geheimnis zufriedengeben, als dürften wir keinerlei Hoffnung hegen, je denkend etwas von ihm zu erfassen… Ohne seinen Namen und sein Wesen zu kennen, können wir seinen Namen ahnen und spüren, wie es uns anrührt – wie einer im Dunkel der Nacht die Schritte seines nahenden Freundes hört und seine Hand streift, und ihn doch nicht erkennt.“ (Maurice Blondel, L’Action)
Wolfgang Mayer
Wolfgang Mayer: Glaube und Tat. Maurice Blondels Tagebücher.
In: Stimmen der Zeit, Heft 2/2024
Wolfgang Mayer: Handeln als Gestorbener. Zu Maurice Blondels Tagebüchern.
In: Stimmen der Zeit, Heft 6/2024