Zu Beginn der Coronkrise hat mich immer wieder die Frage beschäftigt, was in einer solchen Zeit notwendig ist, um sich dieser unvorhersehbaren Wirklichkeit, die uns unsere Scheinsicherheiten zu Boden geworfen hat, stellen zu können. Es braucht ein beziehungsvolles Miteinander von Glaube und Vernunft, so wurde mir immer wieder deutlich.
Dabei bin ich auf den faszinierenden Denkansatz des Soziologen Hartmut Rosa gestoßen.
Er plädiert für ein weiteres Welt- und Selbstverhältnis, das er als eine wechselseitige Beziehung denkt: „Eine solche Beziehung fasse ich mit dem Begriff der Resonanz. Sie bedeutet die Fähigkeit und Erfahrung eines ‚Berührtwerdens‘ durch ein Anderes, ohne fremdbestimmt zu werden. Sie bedeutet die Fähigkeit und Erfahrung, dieses Andere selbst zu berühren oder zu erreichen, ohne über es zu verfügen.
Bereits vor einem halben Jahr schrieb er über die Chance eines solchen Ansatzes, er könnte „als regulative Gemeinwohlidee dienen und auf diese Weise einen Kompass durch die Umbrüche unserer Zeit liefern“ (DIE ZEIT, 25.07.2019).
Mir scheint: Ein solches Beziehungsdenken könnte die isolierte und daher zunehmend wirklichkeitsblinde Vernunft aus der Enge führen und ihr eine Aufklärung bringen. So plädiert Rosa selbst für eine „spirituelle Abhängigkeitserklärung“ und meint damit die Anerkennung eines selbstwirksamen Bezogenseins, das er in seinem Artikel und auch in dem Buch „Unverfügbarkeit“ weiter ausführt. Ausgangspunkt ist für ihn der Haltungswechsel vom Beherrschen und Nutzen hin zum Hören und Antworten, das in freier und kreativer Weise zu geschehen habe. Dabei stellt sich uns eine existenzielle Frage: Sind wir zu einem Haltungswechsel bereit, der auch zu einem anderen Denken unseres Menschseins führt?
Als Christ darf ich aus folgender Glaubenserfahrung leben: Der menschgewordene Gott will den Menschen aller Zeiten immer wieder ins Freie führen und ermutigt mich persönlich, in seinem Licht und aus seiner Kraft zu leben: In ihm und durch ihn und mit ihm bin ich als Christ der immer größeren Wirklichkeit gewachsen- ohne sie natürlich beherrschen zu können. Das bedeutet nun nicht, alle Antworten zu haben, sondern zunächst in der Gemeinschaft der Kirche einen „Resonanzraum“ zu haben, die Fragen zu durchdenken und Glauben zu entdecken, um so zusammen in tragfähige Antworten hineinzuwachsen. Dass dies gerade in den Umbrüchen der Corona-Krise in persönlichen Kontakten erfahrbar war, stimmt mich zuversichtlich bei allen beschleunigten und beängstigenden kirchlichen Einbrüchen dieser Zeit.
Ich bin zuversichtlich: Ein Neuanfang aus Corona ist möglich durch „resonante“ Menschen, die sich von den großen Denkern und Glaubenszeugen der Menschheitsgeschichte anstecken und inspirieren lassen, durch unterschiedliche Menschen mit noch unterschiedlicheren Backgrounds, die in Gemeinschaft wirklich denken und vielleicht auch neu glauben wagen.