„Missverständnisse sind die Regel“ – mit diesen Worten beginnt in unserer Diözese normalerweise eine Fortbildung, wenn sie vom Leiter der Supervisionsabteilung gehalten wird.
Die Supervision wird in Unternehmen, in öffentlichen Einrichtungen, z. B. Schulen, oder eben auch in der Kirche vermehrt dann eingesetzt, wenn es bei den Arbeitsabläufen knirscht, bzw. wenn zwischen Menschen Konflikte auftreten.
Der entscheidende Grund, warum vieles nicht funktioniert, weshalb es so viele Konflikte gibt – denken Sie an Ihren Arbeitsplatz, an Ihre Familie – das sind meistens Missverständnisse.
Menschen verstehen sich nicht! In doppelter Hinsicht.
Missverständnisse sind keine Ausnahmen, sondern, wie der Supervisor behauptet, die Regel.
1. Die Jünger haben Jesus missverstanden
Missverständnisse sind die Regel – an dieses Wort aus der Fortbildung, musste ich denken, als ich das heutige Evangelium gelesen habe.
Jakobus und Johannes, sie hatten Jesus gehörig missverstanden.
„Lass uns in deinem Reich einen von uns rechts und den anderen links neben dir sitzen!“
Die beiden Jünger waren wohl fest davon überzeugt, wenn Jesus vom Reich Gottes spricht, dann meint er damit so etwas wie ein Königreich mit Schloss und Festsaal.
Beim Galadiner, beim Festmahl dieses neu gekrönten Königs Jesus, da wollten Sie beide so gerne links und rechts neben ihm sitzen.
Weil Missverständnisse, die Regel sind, geht das Gespräch in derselben Richtung weiter.
„Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke?“ – Jesus meint den Kelch des Leidens, den er im Garten Getsemani ganz alleine trinken wird.
Antwort, der beiden Thronassistenten in spe, „wir können es!“ – Sie denken an den köstlichen Wein, den es bei der königlichen Tafel sicherlich geben wird.
Wie peinlich die Situation eigentlich ist, wird erst dann deutlich, wenn wir die dem heutigen Evangelium vorausgehenden Verse lesen.
Da hatte es geheißen, dass Jesus seinen Jüngern zum Dritten mal sein Leiden und Sterben ankündigt.
Sie sind gemeinsam bereits auf dem Weg nach Jerusalem.
Daher auch die Reaktion der anderen zehn Jünger. Sie wurden wohl zurecht sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes.
2. Geistliche haben Jesus missverstanden
Missverständnisse sind die Regel. Das gilt scheinbar auch für viele die Jesus in einem kirchlichen Beruf nachgefolgt sind.
Sie haben folgende Worte von Jesus nicht verstanden, oder nicht verstehen wollen: Ihr wisst, dass die die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei Euch aber soll es nicht so sein, sondern, wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der erste sein will, der soll der Sklave aller sein.
Diese Worte stehen seit fast 2000 Jahren im Markusevangelium.
So bin ich mit Ihnen allen sehr verwundert, dass als wichtige Ursache für den massiven sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der Kirche und die spätere Vertuschung all dieser schlimmen Verbrechen, in päpstlichen Rundschreiben und auch in den Interviews der Deutschen Bischöfe plötzlich das Wort „Klerikalismus“ genannt wird.
„Klerikalismus“, was ist da gemeint? Wir haben in unserer Kirche seit langer Zeit, nicht nur ein Führungsproblem, sondern, es ist zutiefst ein geistliches Problem.
Wissen Sie weshalb die Kardinäle die rote Soutane tragen. Die Farbe Rot soll darauf hinweisen, dass alle, die diese herausragende Aufgabe in der Kirche übernehmen, bereit sein müssen, ihr eigenes Blut, für Jesus und seine Kirche zu vergießen.
„Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke?“
Bei dem, was Jesus sagt, handelt es sich nicht um Hinweise eines Supervisors, damit Vieles im Leben besser gelingt.
Es geht viel, viel tiefer: Jesus hat seine eigenen Worte gelebt und Wirklichkeit werden lassen:
„Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben zugeben als Lösegeld für viele.
Ich denke mir manchmal, wie traurig mag Jesus, der mitten in unserer Kirche lebt, oft sein, bei all dem was da geschieht und geschehen ist.
3. Wir wollen Jesus richtig verstehen
Missverständnisse sind die Regel. Deshalb ist es für uns alle sehr wichtig, dass wir uns immer wieder neu bemühen, Jesus richtig zu verstehen.
Jesus sagt uns heute: ihr wisst, wie es in der Welt zu geht: Da gibt es Mächtige und Ohnmächtige, das gibt es ein oben und ein unten, da gibt es viele, die ihre Macht über andere missbrauchen.
Und dann sagt Jesus den entscheidenden Satz: – bei euch aber, soll es nicht so sein.
Bei Euch! Das heißt für mich, hier in dieser Pfarrgemeinde …, hier in unserer Pfarreiengemeinschaft.
Bei Euch, das heißt für mich auch, an meinem Arbeitsplatz, in meiner Familie.
„Wer da groß sein will, der soll der Diener aller sein!“ Der soll sich für alle einsetzen.
Seien wir ehrlich: Gelingt es uns immer? Nein! Und trotzdem, das Wort von Jesus muss der Masstab sein, es immer wieder neu zu versuchen.
Sonst werden die Welt und die Kirche deckungsgleich und dann braucht es keine Kirche mehr.
Wir meinen oft, es sei demütigend, anderen zu dienen. Oder wir sagen: ich lasse mich doch nicht ausnützen.
Dazu noch einmal folgendes: Missverständnisse sind die Regel.
Diese Worte Jesu gelten heute nicht irgendjemand, sondern mir ganz persönlich: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen …
Ich darf mir in dieser Stunde wieder voller Dankbarkeit bewusst machen, mein ganzes Leben lang schon dient Jesus mir!
Er ist jeden Tag um mich in Sorge, er geht meinen Lebensweg mit, er stärkt mich in den Sakramenten der Kirche.
Ich bin es wert, dass Jesus mir dient – und deshalb bittet er mich, ihm zu helfen und sein Werk für die Menschen fortzusetzen.
Wenn ich auf mein eigenes Leben schaue, dann kann ich immer wieder feststellen, gemeinsam mit Jesus zu dienen ist gar nicht so schwer.
Hoffentlich dürfen Sie in der kommenden Woche auch alle diese Erfahrung machen.