„Es gibt nichts Neues unter der Sonne“

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„Es gibt nichts Neues unter der Sonne“

„Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ 1582 2560 Dr. Elias Stangl

Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ (Koh 1,9)

Als Vater von drei Kindern, der bei drei Hausgeburten aktiv assistierend dabei war, ist es gewissermaßen befremdlich, wenn ich diesen biblischen Hinweis isoliert auf meine Kinder übertragen würde. Jeder Mensch ist einzigartig und unverwechselbar – das ist meine Überzeugung. Dass es aber kaum neues unter der Sonne gibt, erscheint mir eher als Einladung, die Geschehen der Welt aus einer tieferen, zeitlosen Perspektive zu betrachten. Solch eine Einstellung führt bei mir dazu, dass ich die großen alttestamentlichen Erzählungen als Grund-Erfahrungen des Menschen ansehen kann:

Die Schöpfung als Ordnung; die Erzählung von Adam und Eva am Paradiesesbaum als Beziehungsgeschichte zwischen Gott und Mensch mit der tiefen Einsicht, dass menschlich die Erkenntnis von Gut und Böse nicht wirklich möglich ist und von Gott trennt; die Geschichte von Kain und Abel, die zeigt, dass Eifersucht eine Leidenschaft ist, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft; der Turmbau zu Babel skizziert die Erfahrung, dass sich die Menschheit (zumindest menschlich) nicht einen oder vereinheitlichen lässt – sie ist und bleibt heterogen und gewissermaßen zerstreut.

Wenn Menschen Erkenntnisse gewinnen, mag dies subjektiv durchaus neu sein – der Blick in die Geschichte oder in die Bibel kann aber zeigen, dass die Erkenntnis nicht unbedingt neuartig ist. In meiner Dissertation zu Resilienz habe ich aufgezeigt, dass die Grundzüge des Resilienzkonzeptes, welches inetwa seit dem Jahr 2005 in der mitteleuropäischen Psychologie und Pädagogik zu einem wichtigen Thema wurde, bereits in der alttestamentlichen Josefs-Geschichte ziemlich genau dargestellt werden.

Es gibt nichts Neues unter der Sonne…

Ich bin weder Fortschrittspessimist noch Innovations-Bremser, finde aber den achtsamen Blick auf neue Ideen oder Konzepte wertvoll. Manchmal lohnt es sich, etwas genauer zu hinterfragen – „was meint Agilität eigentlich?“ – und ein anderes Mal lohnt es sich, auf Quellen und Erfahrungen früherer Zeiten zu achten.

Hartmut Rosas Konzept der Resonanz hat mich sehr fasziniert, da es in besonderer Weise die Beziehung zwischen Menschen und das Verhältnis zwischen der Welt und dem Menschen beschreibt. Was mich zunehmend beschäftigt ist diese Frage:

Gibt es Quellen, die zeigen, dass die grundlegenden Aspekte der Resonanz nach Hartmut Rosa bereits vor vielen hundert Jahren als relevant erkannt wurden?

 

Und siehe: die Grundgedanken der Resonanz-Theorie lassen sich in gewisser Weise auch in älteren kulturellen, philosophischen und spirituellen Traditionen wiederfinden, obwohl der Begriff „Resonanz“ in Rosas spezifischem Sinn damals nicht existierte. Viele der Elemente, die Rosa beschreibt, wurden bereits vor Jahrhunderten in verschiedenen Kontexten reflektiert. Hier sind einige Beispiele und mögliche Quellen:

 

1. Philosophische Quellen

  • Antike griechische Philosophie:
    • Heraklit: Der Gedanke der ständigen Veränderung („panta rhei“) und der Harmonie durch Gegensätze kann als eine frühe Reflexion über die dynamische Beziehung zwischen Individuum und Welt verstanden werden, ähnlich wie Resonanz bei Rosa.
    • Aristoteles: In der Ethik betont er die Bedeutung von Freundschaft (philia) und Tugenden als Basis erfüllender Beziehungen – Parallelen zu Rosas „horizontalen Resonanzachsen“.
    • Stoa: Die stoische Lehre von der Harmonie zwischen Mensch und Kosmos spiegelt die Idee wider, dass Resonanz mit der Welt ein Zustand der Erfüllung ist.
  • Chinesische Philosophie:
    • Sowohl im Daoismus, wo eine harmonische Beziehung zwischen Mensch und Natur betont wird, als auch im Konfuzianismus wird auf die Bedeutung resonanter (sozialer) Verbindungen hingewiesen.

 

2. Religiöse Traditionen

  • Christentum:
    • Die Vorstellung von Liebe als zentralem Bindeglied zwischen Mensch und Gott (Agape) sowie zwischenmenschliche Nächstenliebe (Caritas) deutet auf vertikale und horizontale Resonanzachsen hin.
    • Die Anrufung Gottes und die Antwort des Menschen in einem dialogischen Geschehen sind zentral im biblischen Gottes- und Menschenbild; man könnte sagen: eine Resonanzbeziehung im Sinne Rosas.
    • Der Mystiker Meister Eckhart (13. Jahrhundert) spricht von einem „Anruf der Seele“ durch Gott, was als eine Form spiritueller Resonanz interpretiert werden könnte. Andere Personen in der christlichen Mystik, wie Teresa von Ávila, beschreiben die Erfahrung, von Gott berührt zu sein, die das persönliche Leben transformieren kann.
    • Hartmut Rosa beschreibt Resonanz als etwas, das nicht erzwungen werden kann – genau das zeigt sich auch in vielen biblischen Erzählungen (vgl. Ex 3; 1 Sam 3)
    • Die Liturgie – egal ob evangelisch, katholisch oder orthodox spielt sich durchgängig als Resonanzgeschehen ab.
    • Schließlich wird beispielsweise im Pfingstereignis deutlich, dass der Heilige Geist quasi ein Resonanzprinzip darstellt, da er als Kraft beschrieben wird, der Menschen erfüllt und sie in Bewegung setzt – dieses Wirken und Verwandeln hin zu einer Beziehung oder einer tieferen Verbindung mit der Welt wird spürbar und erlebbar.
  • Buddhismus und Hinduismus:
    • Die Vorstellung von Bhakti (hingebungsvolle Liebe) als Verbindung zwischen dem Menschen und dem Göttlichen zeigt eine tiefe Resonanz zwischen Subjekt und einer transzendenten Ebene.
    • Die Idee der Verbundenheit (Interdependenz) im Mahayana-Buddhismus reflektiert Resonanzbeziehungen, indem sie aufzeigt, wie alles miteinander in dynamischer Beziehung steht.
    • Meditation und Achtsamkeit als Mittel, um die „Antwortfähigkeit“ auf die Welt zu kultivieren, können als frühe Ansätze zur Schaffung von Resonanzräumen gesehen werden.

 

3. Literatur und Kunst

  • Epochen wie die Romantik:
    • Dichter wie William Wordsworth, Johann Wolfgang von Goethe oder Friedrich Hölderlin betonen das „Sprechen der Natur“ und die tiefe emotionale Verbindung zwischen Individuum und Welt.
    • Ihre Werke zeigen, wie die Menschen nach Resonanz und Erfüllung suchen, besonders angesichts der zunehmenden Technologisierung und Entfremdung im Zuge der Industrialisierung.
  • Mittelalterliche Lyrik:
    • Die Minne- und Liebesdichtung im Hochmittelalter betont Resonanz in zwischenmenschlichen Beziehungen und verweist auf emotionale Ansprechbarkeit als Ideal.

 

4. Historische Reflexionen zur Entfremdung

  • Religiöse und philosophische Kritik der Entfremdung:
    • Schon früh wurde der Verlust von Resonanz in biblischen Texten beklagt (Gen 3, Jes 1, Hiob 30, Ps 22, PS 88).
    • Thomas von Aquin und andere mittelalterliche Denker erkannten, dass Übermaß und Maßlosigkeit die Balance der Welt stören und Resonanz unmöglich machen können.
  • Kritik der Moderne bei Rousseau und Co.:
    • Jean-Jacques Rousseau weist im 18. Jahrhundert in seiner Zivilisationskritik darauf hin, dass Menschen in der „natürlichen“ Welt resonantere Verbindungen erleben als in der von Konkurrenz und Fortschritt geprägten Gesellschaft.

 

Fazit

Obwohl Rosa die Resonanz-Theorie in den modernen sozialen und kulturellen Kontext stellt, greifen viele ihrer Elemente auf Jahrhunderte alte philosophische, religiöse und kulturelle Traditionen zurück.
Diese Traditionen zeigen, dass die Idee resonanter Beziehungen – wenn auch unter anderen Begriffen – eine lange Geschichte hat.

Erstellt von Dr. Elias Stangl
mit Zuhilfenahme frei verfügbarer (Internet-)Quellen (u. a. OpenAI. 2025)

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