Das Wechselspiel von Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit durchzieht mein ganzes Leben. Alles planen und machen zu können gehört zum normalen Lebensgefühl. Den Sinn für Resonanz und Dialog, so wie ihn Hartmut Rosa in seinem Buch beschreibt, kenne ich fast nur noch aus der Welt des Glaubens. Sein Anliegen erinnert mich an eine alte jüdische Legende die ich bei Aaron Gerechter fand. In dieser geht es um das Verhältnis der Arbeitstage zum Ruhetag (dem Sabbat). Vielleicht auch um das Zusammenspiel von Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit?
In der Legende wird erzählt, dass es einen Fluss mit dem Namen Sabbatjon gibt, welcher die ganze Woche einen sehr stürmischen Lauf hat und alles, was ihm in seinem Laufe in den Weg kommt, mit rasender Gewalt mit sich reißt und sogar Steine und Geröll in seinem stürmischen Laufe auswirft; auch soll das Wasser dieses Flusses siedend heiß sein. Mit dem in der ganzen Woche stürmisch dahinfließenden Wasser kann unser Leben verglichen werden, welches gleichfalls die ganze Woche hindurch ununterbrochen tätig und gleichsam „im Fluss ist“, so dass auch wir uns „im Strom des Lebens bewegen“. Wir haben die Pflicht an jedem Tage zu arbeiten, immer in Bewegung zu sein, und das Leben zwingt uns zum Einsetzen unserer ganzen Kraft, so dass wir oft alles, was uns hindernd in den Weg tritt, mit uns reißen und die Steine des Anstoßes und Hindernisses von uns hinwegwerfen. Die dafür zugrundeliegende Haltung ist der Wunsch nach Kontrolle und Sicherheit. Doch das Leben läuft falsch, wenn ich nur noch im reißenden Strom schwimme und meine, mit meinen Taten alles im Griff zu haben. Die Folge ist eine tiefeinhergehende Angst vor der Zeit. Die Zeit, die wir selbst kontrollieren, setzt uns unter Druck und entrinnt. Der Respekt vor der Zeit lädt uns jedoch dazu ein, den Fluss des Lebens vom Ufer aus zu sehen. Am Ufer gewinne ich Stand, die Zeit kommt und die Angst klingt ab und unsere Seele findet Beruhigung. Erst so können wir das Leben in einem umfassenderen Sinn verstehen. Der Fluss des Lebens bleibt der gleiche, nur mein Standpunkt und meine Blickrichtung hat sich verändert. Da ist nicht mehr der Druck oder die Absicht, die mitunter sogar hinderlich sein kann das Ziel zu erreichen.
Erst das Wissen um das Verfügbare vermehrt um das Wissen des Unverfügbaren führt mich zu Ehrfurcht, Weisheit und Liebe. Gott rief die Welt ins Leben, und dieser Ruf dauert an. Wir sind Hüter und Zeugen eines immerwährenden Wunders.
Hannes Häntsch
Sozialarbeiter und Logotherapeut
www.geist-und-erde.de