Sie hören auf zu spielen. Ein paar Blicke genügen, dann richtet sich der Konzertmeister an das Publikum:
„Sehr geehrtes Publikum, als Barockensemble spielen wir auf Instrumenten, die mit empfindlichen Natursaiten bespannt sind.
Wir müssen jetzt die Instrumente früher, als geplant stimmen. Das liegt an der Wärme und der Luftfeuchtigkeit.“
„Eigentlich liegt es daran, dass sie atmen!“ ruft mein Freund Jakob Rattinger, der im Ensemble mitwirkt.
Ein Lachen geht durch das Publikum.
Ich bin erstaunt. Unser Atmen wirkt sich auf die Atmosphäre im Raum aus, die Instrumente verstimmen sich.
Ob das jemand im Publikum wahrgenommen hat?!
Nach dem Konzert spreche ich mit Jakob Rattinger.
Seine Mitspieler und er hören, dass sich die Instrumente verstimmen,
das ist normal und bis zu einem bestimmten Grad hinnehmbar,
aber dann können sie nicht mehr weiterspielen: Sie müssen stimmen.
Das sind sich selbst, dem Komponisten, der Musik, dem Publikum schuldig!
Die Atmosphäre ändert sich, das wirkt sich nicht nur auf Instrumente aus, sondern doch auch auf uns Menschen.
Wer hört, spürt, dass etwas nicht mehr stimmt? Bin ich bereit aufzuhören? Neu zu stimmen?
Oder spiele ich einfach lauter, denke, dass es die Menschen schon nicht hören werden?!
Ich erschrecke: Wieviel bin ich mir, ist mir mein Angerufensein, mein Glauben, sind mir meine Mitmenschen wert?!
Zeit zum Aufhören, im Sinn von unterbrechen
Zeit zum Aufhören, im Sinn von „aufhorchen“ „ganz Ohr sein“
Zeit für den “unerhörten Sinn des Lebens“ (Martin Schleske)
Zeit aufeinander zu hören
Zeit zum Stimmen
Martin Knöferl