Gedanken zum Tag
gehört von Wolfgang Kretschmer
Demokratie funktioniert im Aggressionsmodus nicht, ich glaube das kann man grundsätzlich sagen. Die Losung „Gib mir ein hörendes Herz“ von König Salomo erlangt also auch eine politische Dimension. Früher habe ich immer gesagt, Demokratie funktioniert nur, wenn jede und jeder eine Stimme hat, die hörbar gemacht wird. In letzter Zeit komme ich aber mehr und mehr zu der Überzeugung: Es gehören auch Ohren dazu.
Es reicht nicht, dass ich eine Stimme habe, die gehört wird, ich brauche auch Ohren, die die anderen Stimmen hören. Und ich würde noch darüber hinausgehen und sagen, mit den Ohren braucht es auch dieses hörende Herz, das die anderen hören und ihnen antworten will. Der andere soll eben geradenicht sein Maul halten, weil er sowieso ein Volksverräter oder ein Idiot oder sonstwas ist. Demokratie ist das zentrale Glaubensbekenntnis unserer Gesellschaft, aber sie erfordert eben Stimmen, Ohren und hörende Herzen. (…)
Deshalb finde ich übrigens unbedingt, wir sollten es mit Max Weber halten, der sagt, interkulturelle Redlichkeit heißt, erst einmal zu hören, dass es auf der anderen Seite vielleicht auch Argumente gibt, die mir was zu sagen haben. (…)
Der republikanische Gedanke von Demokratie ist, dass durch dieses wechselseitige Erreichen wechselseitige Transformation stattfindet.
Entnommen aus: Hartmut Rosa „Demokratie braucht Religion. Über ein eigentümliches Resonanzverhältnis“, Kösel Verlag, München 2022
Manuskript und Info Dienst: www.br-online.de
Bayerischer Rundfunk Montag, 17. April 2023,
Religion und Orientierung