Die Sprache lügt nicht

Die Sprache lügt nicht

Die Sprache lügt nicht 640 347 Martin Knöferl

In Unterbernbach, unweit von Hörzhausen, hat Viktor Klemperer, Professor für Romanistik als Flüchtling das Kriegsende erlebt.

Victor Klemperer führte Tagebuch. Er war ein besessener, ein begnadeter Diarist.

1947 hat er „LTI. (Lingua Tertii Imperii – Sprach des Dritten Reiches) Notizbuch eines Philologen“ veröffentlicht, in dem sich der protestantische Intellektuelle jüdischer Abstammung mit der Sprache des Nationalsozialismus auseinandersetzt: Bereits sein Titel ist ein Seitenhieb auf die ungezählten Kürzel aus der Sprache des Nationalsozialismus wie beispielsweise BDM (Bund Deutscher Mädel), HJ (Hitlerjugend), DAF (Deutsche Arbeitsfront), NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps), KdF (Kraft durch Freude). Klemperer erklärt dazu im ersten Kapitel:

„Ein schönes gelehrtes Signum, wie ja das Dritte Reich von Zeit zu Zeit den volltönenden Fremdausdruck liebte:

Garant klingt bedeutsamer als Bürge und diffamieren imposanter als schlechtmachen.“

„Vielleicht versteht es auch nicht jeder, und auf den wirkt es dann erst recht.“

Er kommt zum Ergebnis, dass die Sprache in der Zeit des Nationalsozialismus die Menschen weniger durch einzelne Reden, Flugblätter oder Ähnliches beeinflusst habe als durch die stereotype Wiederholung der immer wieder gleichen, mit nationalsozialistischen Vorstellungen besetzten Begriffe und wie sie mehr und mehr unbewusst übernommen wurde. Diese Sprache bedient sie sich u. a. der Marginalisierung, Heroisierung, Biologisierung und Hierarchisierung, Floskeln wie „In stolzer Freude/Trauer“, sowie Metaphern, v. a. aus dem Box-Sport.

Betrachtet werden Nazi-Schlüsselbegriffe wie heldenhaft, Bewegung, gleichschalten, fanatisch, total, Gefolgschaft, körperliche Ertüchtigung.

Klemperer beschreibt die Überhitzung der nazistischen Offizialsprache durch die ständige Verwendung von Superlativen, die er einen Fluch nennt.

„Der bösartige Superlativ der LTI ist für Deutschland eine erstmalige Erscheinung, deshalb wirkt er vom ersten Augenblick an verheerend, und danach liegt es eben zwanghaft in seiner Natur, dass er sich immerfort bis zur Sinnlosigkeit, bis zur Wirkungslosigkeit, übersteigern muss.“

In seinem Werk wird deutlich, wie subtil die Anfänge dieses Geschehen waren. „Ich ließ mich damals nicht irremachen, ich stand jeden Morgen um halb vier auf und hatte den vorigen Tag notiert, wenn die Fabrikarbeit begann. Ich sagte mir: du hörst mit deinen Ohren, und du hörst in den Alltag, gerade in den Alltag, in das Gewöhnliche und das Durchschnittliche, in das glanzlose Unheroische hinein …

Und dann: ich hielt ja meine Balancierstange, und sie hielt mich …“

Martin Knöferl

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