Das Originalzitat von Fritz Bauer lautet: „Ich glaube, es ist eine traurige Wahrheit, dass wir unserem Affenzustand noch sehr nahe sind und dass die Zivilisation nur eine sehr dünne Decke ist, die sehr schnell abblättert.“
Ich glaube, es ist eine menschliche Wahrheit, dass wir Menschen eben menschlich sind und sich die Ideologie der Selbstoptimierung im persönlichen, im gesellschaftlichen und im menschheitsgeschichtlichen Leben als trügerisch erweist….
Ich glaube, es ist die menschliche Wahrheit, eine Paradoxie, dass je mehr wir versuchen unser menschliches Sosein zu verdrängen, es uns immer wieder einholt und unbewusst mehr bestimmt, als wir es wahrhaben möchten.
Es kommt mir so vor, dass es das ist, was Hartmut Rosa als Aggressionsmodus beschreibt, der sehr smart daherkommt, doch latent aversiv ist und diese Aversion derzeit immer offener zutage tritt.
Sein Gedanke, dass der Aggressionsmodus in eine zunehmende Entfremdung, von uns selbst, voneinander und von der Natur führt, wird immer offensichtlicher und spürbarer.
Diese Beschreibung hat eine erstaunliche Nähe zu dem, was das Wort „Sünde“ bedeutet.
Es hat die selbe Wortwurzel wie „Sund“, eine trennende Enge im Meer,
„sündern“ – sondern, absondern.
Ich trenne mich von Gott, von den Mitmenschen, von der Natur und von mir selbst, das ist es wohl, was das Wort Hölle beschreibt.
Seit länger Zeit hat sich das Wort Todsünde bei mir eingehakt.
Jetzt ist es dran, mich damit zu beschäftigen:
Die Sieben Todsünden: Heute noch relevant?
Die Idee der Todsünden ist im mönchischen Leben des fünften Jahrhunderts entstanden. Über Hunderte von Jahren wurde ein Sündenkatalog entwickelt, erprobt und verfeinert.
Dies geschah durch gelehrte Dispute und um den modernen Begriff zu gebrauchen – durch Selbsterfahrung.
Mönche und Nonnen wurden zu den Spezialisten schlechthin, wenn es um Fragen von Versuchung, Selbstkontrolle und Kontrollverlust ging.
Die Konfrontation mit den „Großen Sieben“ bietet tiefe Einsichten in die eigene Psyche: Sie sind eine erhellende, manchmal verstörende Möglichkeit der Selbsterkenntnis.
Weil die Todsünden offensichtlich anthropologische Konstanten erfassen, taugen sie dazu, auch das Verhalten zeitgenössischer Menschen zu wahrzunehmen.
Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit sind durch Kultur und Zivilisation meist nur erstaunlich schwach überformte Ausdruck unseres Soseins.
Gerade deshalb stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen für seine Handlungen in unverminderter, neuer Schärfe.
Das Konzept der Todsünden lädt dazu ein, unsere Fähigkeit zum Bösen anzuerkennen und Verantwortung zu übernehmen.
Wir sind auch heute nicht automatisch „entschuldigt“, nur weil wir eine wissenschaftliche Erklärung für unser Verhalten haben, wir sind nicht schuldlos, wenn wir unseren Zorn ungezügelt ausleben, unserem Neid oder unserer Trägheit nachgeben, unseren Hochmut pflegen.
Wir „sündigen“ nicht, weil uns gesellschaftliche Verhältnisse dazu zwingen, weil wir in einer schwierigen Familie aufgewachsen sind, weil unser Temperament uns eben so handeln lässt – wir überschreiten häufig Grenzen, die wir sehr wohl erkennen können.
Wer Schuld für seine schlechten Taten nicht anerkennen will, kann auch die guten nicht für sich reklamieren.
Die Todsünden legen unseren Charakter als Ganzes bloß – Die Fähigkeit zum Bösen ist ohne Zweifel auch heute in uns – und wir haben die Wahl, ob wir eine Grenze überschreiten oder nicht.
Der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton (1874–1936) schrieb:
„Moral besteht wie Kunst darin, irgendwo eine Linie zu ziehen.“ (Unter Zuhilfenahme eines Textes von Heiko Ernst in Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de)
Wollust
Im tiefsten geht es wohl um die Liebe.
Wir können kaum ohne sie sein. Wie wunderbar ist es Liebe zu erleben.
Menschen sehnen sich nach ihr.
Und so kann es kommen, dass die Sehnsucht zur Sucht wird, dass Menschen nach dem Geschenk greifen wollen, dass sie Liebe machen.
Liebe wird käuflich, eine Ware.
Zum Missbrauch ist es dann nicht mehr weit.
Unser Beziehungsbegehren verkommt mehr und mehr in ein Objektbegehren.
Liebe ist aber ein Resonanzgeschehen, unverfügbar.
Und doch kann ich meinen Beitrag leisten, nicht haben wollen, sondern hingeben.
Hingabe
Mit dem Aschermittwoch beginnt die „österliche Bußzeit“.
Eine Zeit die uns einlädt, innezuhalten, uns wahrzunehmen, uns bewusst zu werden, wo nötig, umzukehren, uns dem Leben zuzuwenden.
Eine Zeit, die uns daran erinnert, dass Gott uns unbedingt und unverlierbar liebt, gerade so, wie wir sind.
Manche kennen sie schon die Farbe violett, die wir manchmal als „Blauer Fleck“ an Körper und Seele tragen, sie schenkt uns Hoffnung:
Heilung steht bevor!
Martin Knöferl